Fachkräfteeinwanderungsgesetz: SVR fordert Flexibilisierung des Gleichwertigkeitsnachweises

[SVR] Auch zwei Jahre nach Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist laut Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) eine umfassende Bilanz aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen noch nicht möglich. Dennoch sei deutlich geworden: Ausländische Arbeitskräfte stehen trotz großer Erleichterungen weiterhin vor substanziellen Hürden. Daher fordert der SVR erneut, den Gleichwertigkeitsnachweis einer im Ausland erworbenen Berufsausbildung als Voraussetzung für den Zuzug beruflich Qualifizierter zu überdenken und mit Öffnungsklauseln zu experimentieren.

"Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden die Möglichkeiten zur Zuwanderung von Ausländer*innen mit anerkannten Qualifikationen erheblich erleichtert. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Regelungen müssen nun mit Leben gefüllt werden. Da sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf", erklärt die SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Petra Bendel. Um in Deutschland arbeiten zu können, müssen ausländische Fachkräfte in der Regel gleichwertige Qualifikationen nachweisen können – angesichts der sehr spezifischen Strukturen im Bereich der beruflichen Bildung ist dies oft eine große Hürde. "Wir sehen hier ein Dilemma: Einerseits wollen wir Fachkräfte aus dem Ausland für die Arbeit in Deutschland gewinnen. Andererseits verlangen wir, dass ihre Qualifikationen genau unseren Standards entsprechen. Die dazu erforderlichen Anerkennungsverfahren sind aber nicht nur kompliziert, sondern oft auch langwierig. Hier müssen wir schneller und offener werden. Wir brauchen mehr Digitalisierung und Personal in den Behörden und mehr Angebote, anerkannte Qualifikationsnachweise durch Nachprüfungen zu ersetzen."

Grundsätzlich plädiert die SVR-Vorsitzende deshalb für einen offeneren Umgang mit dem Kriterium der Gleichwertigkeit. Es sollte zwar nicht abgeschafft, für nicht-reglementierte Berufe aber flexibler gestaltet werden. "Nicht überall ist ein offiziell zertifizierter Bildungsabschluss wirklich nötig. Es gibt Branchen, da ist Berufserfahrung mitunter viel wichtiger als eine nach deutschen Standards anerkannte Ausbildung. Dem sollten wir Rechnung tragen, damit wir im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte bestehen können", fordert Bendel.

Der SVR hat dazu das "Nimm 2+"-Verfahren als Modellprojekt für nicht-reglementierte Berufe vorgeschlagen, um die Hürde des Gleichwertigkeitsnachweises etwas abzusenken. Dieses würde Fachkräften mit einer im Ausland abgeschlossenen beruflichen Ausbildung bei Vorliegen eines Arbeitsvertrags erlauben, auch ohne Gleichwertigkeitsnachweis nach Deutschland zu kommen und hier erwerbstätig zu sein. Dafür müsste das fehlende Gleichwertigkeitskriterium durch ein oder mehrere Alternativkriterien ersetzt werden, zum Beispiel sehr gute Sprachkenntnisse, ein Mindestgehalt oder Berufserfahrung.

Das im Koalitionsvertrag formulierte Vorhaben der Ampelparteien, die Fachkräftezuwanderung zu vereinfachen, begrüßt der SVR. Inwieweit eine "Chancenkarte" mit Punktesystem hier hilfreich sein kann, ist noch unklar. Generell handelt es sich um keinen neuen Vorschlag, erklärt Prof. Dr. Daniel Thym, stellvertretender SVR-Vorsitzender. "Die Idee wurde schon vor 20 Jahren im Rahmen der Debatte über die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes diskutiert. Damals wäre es ein Novum gewesen – ein echter Paradigmenwechsel. Das ist heute aufgrund bereits existierender Maßnahmen wie zum Beispiel der Blauen Karte EU aber nicht mehr der Fall. Allerdings könnte das Punktesystem dem Gesetzgeber zum Anlass dienen, das vom SVR vorgeschlagene ‚Nimm 2+‘-Modell umzusetzen: Flexibel einsetzbare Kriterien ersetzen hiernach starre Zulassungsregeln."

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz trat am 1. März 2020 in Kraft. Aufgrund der sich ausbreitenden Corona-Pandemie wurde wenig später der erste Lockdown in Deutschland beschlossen. Der internationale Reiseverkehr sowie die Bearbeitung von Visaanträgen unterlagen seither erheblichen Einschränkungen. Eine umfangreiche Bilanz zur Wirkung der neuen Regelungen ist deshalb zurzeit noch nicht möglich. Einen ersten Trend könnten die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit andeuten. Demnach wurden im Jahr 2021 mehr Zustimmungen zur Arbeitsaufnahme von Drittstaatsangehörigen erteilt als 2020, jedoch nach wie vor weniger als 2019.

Der Fachkräftebedarf bleibt dabei weiterhin hoch. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bewerten 55 Prozent der Unternehmen in Deutschland den Fachkräftemangel als Risiko. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge braucht die deutsche Wirtschaft etwa 400.000 Zuwandernde pro Jahr.

Der SVR hat sein Faktenpapier "Kurz und bündig: Fakten zur Zuwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit" aktualisiert. Es kann hier abgerufen werden.

Weitere Informationen zum "Nimm 2+"-Verfahren gibt es hier im Jahresgutachten 2018 (Kap. B5, S. 55-57).


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Das Förderprogramm IQ – Integration durch Qualifizierung wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge administriert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Bundesagentur für Arbeit.